Ciao, verehrte Leser*Innen! Amateurkriminalistisch Begabte mögen aus dem Beitrag des Vortages deduziert haben, dass wir heute in Venedig ankommen wollen. Auch wenn die bisherige Berichterstattung möglicherweise Zweifel säte oder vielleicht sogar suggerierte, wir könnten unser Ziel nicht erreichen – wie es die besorgten Rückfragen, die uns erreichten, dokumentieren – so haben wir es trotz aller widrigen Umstände geschafft! Wie wir den letzten Tag erlebten, könnt ihr hier nachlesen.
Wir finden Surus mit herausgesprungener Kette vor. Uns ist schleierhaft, wie das passieren konnte: War es das nächtliche Unwetter oder kommt der kleine Surus langsam in die Pubertät und rebelliert jetzt? Der erste Kilometer scheint letzteres zu bestätigen. Alle drei Pedaltritte fliegt die Kette heraus. Als Gegner antiautoritärer Erziehung und gute Eltern nehmen wir Surus die Kette weg. Wer nicht damit umgehen kann, sollte auch keine besitzen, basta! Für einen der sechs Generäle wird der heutige Tag wohl viel entspannter. Er tritt nur noch zur Wahrung des Zugehörigkeitsgefühls gegen Luftwiderstand und kaputtes Tretlager.
Von der Gemütlichkeit des vergangenen Tages eingeholt liegt heute eine lange Etappe vor uns, die wir effektiv erst gegen 1 Uhr nachmittags beginnen. Um Venedig heute noch zu erreichen, führen wir eine strikte „no break/brake“-Policy ein. Leider kann das bekannte Geschwindigkeitsparadoxon nicht zum Tragen kommen, weil nahezu die gesamte Etappe flach wie ein Pfannkuchen ist, beinahe ein Crêpe. Unter anderem dadurch unterliegt das Motivation-O-Meter starken Schwankungen. Selbst die Kriminalfälle von Sherlock Holmes vermögen es an diesem Tag nicht, eine Konstanz im Serotoninspiegel zu bewirken. Es zieht sich!
Wir vermissen die Alpen und die Dolomiten sehr. Bei einzelnen Teammitgliedern ist die Sehnsucht so ausgeprägt, dass wir anstelle eines kurzen Umwegs Surus wie einen fetten Chihuahua auf den Arm nehmen und über die Schranke tragen.

Die zahlreichen Ereignisse des Nachmittags halten wir der Kürze halber im stichpunktartigen Protokoll fest:
14:03 – Wir passieren einen Baum.
14:04 – Wir passieren einen weiteren Baum.
14:05 – Christian geht am Baum pinkeln.
14:06 – Wir passieren einen gelben Baum.
14:07 – Nichts passiert.
14:08 – Eine alte Dame mit Rollator überholt uns – zur Rettung unsere Ehre: Es ist ein elektrisch betriebener Rennrollstuhl.
[…]
18:00 – Wir erreichen Mestre, noch 5 Kilometer bis zur Brücke nach Venedig.
18:30 – Wir haben Mestre passiert, noch 5 Kilometer bis zur Brücke nach Venedig.
19:00 – Die im Reiseführer versprochene Unterführung existiert nicht, noch 5 Kilometer bis zur Brücke nach Venedig.
19:30 – Wir verlassen die von Google vorgeschlagene Alternativroute (mehrspurige Schnellstraße, hysterische Schreie…), noch 5 Kilometer bis zur Brücke nach Venedig.
20:00 – Durch großen Zufall stoßen wir auf den Fahrradweg nach Venedig. Er ist abgesperrt und als Baustelle gekennzeichnet. Uns doch egal – schließlich sind wir die letzten drei Wochen auf einer solchen unterwegs. Noch 5 Kilometer bis zur Brücke nach Venedig.
Spätestens jetzt fühlen wir uns gestresst. Die Genauigkeit der Vorhersage unserer Ankunftszeit ähnelt der des Windows-Kopierdialogs. Weil wir wissen, dass Diamanten erst unter Druck entstehen, versprechen wir unsere Ankunftszeit schließlich verbindlich.
20:30 – Die Brücke nach Venedig! Jetzt noch 5 Kilometer bis nach Venedig.
20:31 – Wir stecken zwischen Leitplanke und Brückenpfeiler fest. Jetzt nur noch 4,995 Kilometer bis nach Venedig.
20:35 – Nach einem engen Aneinanderschmiegen von Brückenpfeiler und Surus (definitiv in der Pubertät) und rhythmischem Rangieren ist die Engstelle passiert.

20:40 – Ein Zug hupt uns freundlich zu.
21:00 – VENEZIA!!!!!111
21:01 – Ein Polizist klärt uns darüber auf, dass Fahrräder in Venedig nicht fahren dürfen und können.

Während Georg unser Versprechen erfüllt, suchen wir nach einer Parkgelegenheit für Surus. Nach kurzer Verhandlung einigen wir uns mit den Parkwächtern darauf, dass ein Elefant zwei Fahrrädern entspricht. Wir sind müde, aber glücklich unser Ziel erreicht zu haben – endlich Urlaub! 😉

Sicherheitshinweis: Gefahr! Die vorausgegangenen Erlebnisse waren großartig und werden zur Nachahmung empfohlen.